Wenn ich mich an dieser Stelle jeweils mit euch über CBD austausche, erwähne ich immer wieder das „Endocannabinoid-System“. In vielen Rückmeldungen merke ich jedoch, dass dieser Begriff für die meisten völlig neu ist und kaum jemand weiss, was genau dahintersteckt. Dabei bildet dieses System die Grundlage für vieles, was in unserem Körper vor sich geht. Damit ihr meine Beiträge besser einordnen könnt, lohnt es sich, dieses Netzwerk einmal von Grund auf zu erklären.
Endo… wie bitte?
Der Begriff wirkt sperrig, und das liegt weniger an seiner Bedeutung als an seiner Geschichte. Als die Forschung in den 1980er-Jahren verstehen wollte, weshalb bestimmte Inhaltsstoffe der Cannabispflanze überhaupt eine Wirkung im Körper entfalten, stiess die Arbeitsgruppe um Allyn Howlett auf Rezeptoren, die genau auf diese Moleküle reagierten. Die Benennung war damals rein funktional: Man nannte sie Cannabinoid-Rezeptoren, weil sie auf Cannabinoide aus der Pflanze ansprachen. Erst später zeigte sich, dass der Körper eigene Botenstoffe bildet, die an denselben Rezeptoren andocken. Die Gruppe um Raphael Mechoulam, William Devane und Lumír Hanuš isolierte 1992 eines dieser Moleküle und bezeichnete es als „endogenes Cannabinoid“ – also als körpereigenes Pendant zu den bekannten Pflanzenstoffen. Als klar wurde, dass diese Botenstoffe zusammen mit ihren Rezeptoren und den zugehörigen Enzymen ein eigenes Netzwerk bilden, setzte sich der Begriff „Endocannabinoid-System“ durch.
Ein System, das lange verborgen blieb
Wenn man die Geschichte der Medizin betrachtet, wird schnell klar, weshalb das Endocannabinoid-System so lange unter dem Radar blieb. Die grossen Körpersysteme, die wir heute als selbstverständlich kennen, wurden über Jahrhunderte entdeckt, untersucht und beschrieben. Blutgefässe konnte man öffnen, Nervenbahnen färben, Drüsen abbilden – die Strukturen waren sichtbar und greifbar. Selbst bedeutende Botenstoffe wie Serotonin oder Dopamin wurden erst Mitte des 20. Jahrhunderts identifiziert, also erstaunlich spät, wenn man bedenkt, wie zentral sie für Stimmung, Schlaf und Antrieb sind. Das Endocannabinoid-System passte in dieses klassische Muster nicht hinein. Es besitzt keine eigenen Organe, keine anatomischen Leitungen, die man direkt finden könnte. Es zeigt sich erst, wenn man die Kommunikation innerhalb der Zellen untersucht. Genau deshalb wurde es erst sichtbar, als moderne biochemische Methoden verfügbar waren.
Die bekannten Systeme als Orientierung
Um zu verstehen, wo das Endocannabinoid-System einzuordnen ist, lohnt sich ein Blick auf jene Körpersysteme, die wir seit der Schulzeit kennen:
Der Blutkreislauf versorgt jede Zelle mit Sauerstoff und Nährstoffen und transportiert alles, was der Körper verteilt oder entsorgen muss.
Das Nervensystem koordiniert Reize, Bewegungen und Wahrnehmungen und verbindet die äussere Welt mit den inneren Abläufen.
Das Hormonsystem steuert langfristige Prozesse wie Stoffwechsel, Wachstum oder Stressreaktionen, während
das Immunsystem laufend prüft, ob im Körper irgendwo eine Gefahr entsteht. Ergänzt wird all das vom
Lymphsystem und vom Wasserhaushalt, die gemeinsam dafür sorgen, dass Flüssigkeiten, Abfallstoffe und Immunzellen in Bewegung bleiben.
Diese Systeme lassen sich gut einordnen, weil sie sichtbare Strukturen und klar erkennbare Aufgaben haben – ein fassbares Gerüst, das den meisten vertraut ist.
Was dieses Netzwerk besonders macht
Das Endocannabinoid-System ist kein eigenes Organ und auch keine sichtbare Struktur, sondern ein Netzwerk, das sich durch den ganzen Körper zieht. Es besteht aus körpereigenen Botenstoffen, die genau dann gebildet werden, wenn Zellen ein bestimmtes Signal brauchen, aus Rezeptoren, die diese Signale empfangen, und aus Enzymen, die sie wieder abbauen, sobald ihre Aufgabe erfüllt ist. Am besten lässt es sich mit einer automatischen Lautstärkeregelung vergleichen: Wenn andere Körpersysteme ein Signal senden – ob Nervensystem, Hormone oder Immunsignale – achtet das Endocannabinoid-System darauf, dass nichts übersteuert oder im Hintergrund verschwindet. Es gleicht aus, dämpft ab oder verstärkt nach, je nachdem, was der Körper im Moment braucht. Genau dadurch arbeitet es unauffällig, aber konstant im Hintergrund und hält viele Abläufe im Gleichgewicht, lange bevor wir etwas davon merken.
CB1 und CB2 im Überblick
CB1 und CB2 sind die beiden wichtigsten Rezeptoren des Endocannabinoid-Systems. Sie wirken wie kleine Empfangsstellen, die Signale aus dem Körper aufnehmen und an die jeweiligen Zellen weitergeben. Obwohl sie ähnlich heissen, befinden sie sich in unterschiedlichen Bereichen und erfüllen unterschiedliche Aufgaben.
CB1 findet man überwiegend im Nervensystem – im Gehirn, im Rückenmark und in den peripheren Nerven. Dieser Rezeptor ist stark an der Verarbeitung von Reizen, an der Stressantwort, an Stimmung und Wahrnehmung beteiligt.
CB2 ist dagegen vor allem in Immunzellen und in Geweben vertreten, die entzündliche Prozesse steuern – etwa in Milz, Darm oder Haut. Er beeinflusst, wie der Körper auf Belastungen reagiert und wie ausgeprägt seine inneren Abwehrmechanismen arbeiten.
Man kann es vereinfacht so ausdrücken:
CB1 reguliert, was wir erleben.
CB2 reguliert, wie der Körper darauf antwortet.
Schaltzentrale für innere Regulation
Das Endocannabinoid-System beeinflusst viele Abläufe, die wir im Alltag kaum bewusst wahrnehmen: wie stark wir auf Stress reagieren, wie gut wir Reize filtern, ob unser Schlafrhythmus stabil bleibt und wie unser Immunsystem auf Belastungen antwortet. Es greift immer dann ein, wenn andere Körpersysteme etwas zu intensiv oder zu schwach reagieren, und sorgt dafür, dass die innere Balance erhalten bleibt. Dadurch verhindert es Überreaktionen, unnötige Alarmzustände und Prozesse, die sich sonst im Laufe des Tages schrittweise aufschaukeln würden. Genau diese stabilisierende Funktion macht das Endocannabinoid-System zu einem stillen, aber zentralen Bestandteil unserer inneren Regulation.
Die eigene Feinabstimmung des Körpers
Das Endocannabinoid-System arbeitet grundsätzlich selbstständig. Der Körper stellt seine eigenen Botenstoffe genau dann her, wenn sie gebraucht werden, und baut sie sofort wieder ab, sobald ihre Aufgabe erledigt ist. Damit diese Feinabstimmung zuverlässig funktioniert, braucht der Körper gewisse Grundbedingungen: ausreichend Schlaf, regelmässige Ruhepausen und Nährstoffe, die für die Bildung der körpereigenen Endocannabinoide wichtig sind – allen voran Omega-3-Fettsäuren. Wenn diese Voraussetzungen stimmen, reagiert das System schnell und flexibel auf Belastungen und bringt innere Abläufe wieder ins Gleichgewicht. Es ist darauf ausgelegt, Schwankungen abzufedern – solange die Gesamtbelastung nicht über längere Zeit zu hoch wird.
Wenn die Belastung zu hoch wird
Wenn der Körper über längere Zeit unter Druck steht, kann das Endocannabinoid-System seine Aufgaben nicht mehr so fein erfüllen wie gewohnt. Dauerstress, unregelmässiger Schlaf oder eine dauerhafte Reizüberflutung führen dazu, dass einzelne Signale im Körper häufiger oder intensiver auftreten als eigentlich vorgesehen. Muss das System ständig gegensteuern, verliert es mit der Zeit ein Stück seiner Flexibilität. Es reagiert dann weniger schnell und weniger präzise auf neue Anforderungen. Das bedeutet nicht, dass es ausfällt – sondern dass die Belastung die natürliche Selbstregulation zeitweise überfordert.
Ein Ungleichgewicht zeigt sich nicht durch ein einzelnes deutliches Zeichen. Vieles wirkt zunächst ganz normal: schlechter Schlaf, innere Unruhe, erhöhte Reizbarkeit oder ein Stresspegel, der sich langsamer abbaut als früher. Der Unterschied liegt weniger im Symptom als im Muster. Situationen, die man sonst gut verkraftet hat, fühlen sich plötzlich schwerer an. Kleine Auslöser reichen aus, um den Schlaf zu stören, oder der Körper braucht länger, um nach einem hektischen Tag wieder zur Ruhe zu finden. Das sind keine Diagnosen, sondern Hinweise darauf, dass die innere Feinabstimmung im Moment mehr zu tun hat als üblich – ein Zeichen dafür, dass das Endocannabinoid-System stärker gefordert ist.
Wie es im zweiten Teil weitergeht
Damit habt ihr jetzt einen ersten Überblick darüber, wie dieses System aufgebaut ist und weshalb es im Hintergrund so viel für uns erledigt. Im nächsten Schritt wird es besonders spannend: Dort schauen wir uns an, weshalb Pflanzenstoffe wie CBD und CBG in der Forschung immer wieder genau dort auftauchen, wo dieses innere Mischpult ohnehin arbeitet – nicht als Fremdkörper, sondern als Ergänzung zu Prozessen, die der Körper selbst steuert. Ich zeige euch, wie CBD und CBG sich voneinander unterscheiden, warum sie oft gemeinsam erwähnt werden und weshalb THC eine völlig andere Rolle spielt. Und ich nehme euch mit in jene Bereiche der modernen Biologie und Pharmakologie, in denen das Endocannabinoid-System heute eine zentrale Rolle spielt. Genau dort beginnt man zu verstehen, weshalb es sich lohnt, diesem Netzwerk mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
